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Polnisches Zivilprozessverfahren in Wirtschaftssachen – eine Besonderheit der polnischen Zivilprozessordnung

Im Laufe der europäischen und Wirtschaftsintegration sind Unternehmer schon an ähnliche Rechtsinstitutionen oder Verfahren in vielen europäischen Ländern gewöhnt.

Da die rechtlichen Lösungen überwiegend gemeinsame Wurzeln in der europäischen Gesetzgebung (wie Verordnungen, Richtlinien) haben und gewisse Ähnlichkeiten aufweisen, gehen die Unternehmer intuitiv vor und machen sich eigentlich keine Gedanken über die Sonderregelungen, die im jeden Rechtsystem gelten. Solche Vorgehensweise ist einerseits das positive und angestrebte Ergebnis der europäischen Integration, andererseits kann es aber in bestimmten Fällen schädlich sein.  Als Beispiel kann man auf das polnische Zivilprozessverfahren in Wirtschaftssachen hinweisen.

Das polnische Zivilprozessverfahren in Wirtschaftssachen wurde schon im Jahre 1989 eingeführt. Das Ziel und Zweck der Novelle war, das Verfahren in Wirtschaftssachen zu beschleunigen. Um dies zu erreichen, wurde auch eine dreimonatige Frist für die Urteilsverkündung eingeführt. Leider, wie die Erfahrung zeigt, ist diese Frist nur ein unerfüllter Wunsch des Gesetzgebers. Wegen zahlreicher Novellen der polnischen Zivilprozessordnung (PL-ZPO) wurde der heute herrschende Rechtsstand im Jahre 2007 begründet. Die Vorschriften sind durch viele Unterschiedlichkeiten der klassischen Zivilprozessordnung gegenüber gekennzeichnet. 

Jeder, der seine Ansprüche vor einem Gericht geltend machen will, muss in erster Linie die Frage beantworten, ob er ein Unternehmer oder Privatperson ist. Gem. art. 479 1 § 1 PL-ZPO finden die Vorschriften über das Verfahren in Wirtschaftssachen nur dann Anwendung, wenn der Rechtsstreit eine zivilrechtliche Natur aufweist  und zwischen den Unternehmern im Rahmen ihrer gewerblichen Tätigkeiten entstanden ist. Daraus folgt, dass alle Ansprüche, die die Privatsphäre der Unternehmer betreffen (z.B. Ansprüche aus dem Kauf eines Fernsehers) nach allgemeinen Regeln des PL-ZPO geprüft werden und nach besonderen Vorschriften des Verfahrens in Wirtschaftssachen.

Die wichtigste Unterschiedlichkeit des Zivilprozessverfahrens in Wirtschaftssachen betrifft die Beweisanträge und die vorzutragenden Tatsachen. Die Beweisanträge und Tatsachen müssen immer vorzeitig unter Androhung der Präklusion gestellt bzw. vorgetragen werden, es sei denn der Antragssteller beweist, dass die Notwendigkeit der Berufung erst später entstanden ist. In diesem Fall hat er zwei Wochen Zeit, um dies zu tun (Art. 47912 § 1 S. 1 PL-ZPO). Diese Regelung stellt sehr hohe Erwartungen an die Anwälte und Unternehmer. In dem Klageschriftsatz müssen alle denkbaren Beweisanträge gestellt und die Tatsachen vorgetragen werden, die sich auf den Streitgegenstand beziehen. Der mögliche Verlauf des Verfahrens und die Reaktionen des Gegners insbesondere prozessuale Einwendungen, sind vorauszusehen. Der gleichen Pflicht unterliegt auch der Streitgegner, der in seiner Klageerwiderung alle denkbaren Gegenbeweisanträge stellen und die Tatsachen vortragen muss.

Diese Regelung hat zu Recht auf heftige Kritik gestoßen. Soll sie rein formal verstanden und angewendet werden, kann es dazu führen, dass der Prozess auf Grund von formellen Fehlern oder Außerachtlassung der zu spät berufenen Tatsachen oder Beweisanträge verloren wird.

Eine weitere Besonderheit ist die außergerichtliche Aufforderung zur Zahlung. Der Kläger ist verpflichtet, seinen Gegner in der außergerichtlichen Phase des Verfahrens schriftlich per Einschreiben zu mahnen und damit die Möglichkeit der einvernehmlichen Lösung anzubieten, was mit einem Postbeleg stets zu beweisen ist. Fehlt ein solcher Beweis, ist der Richter verpflichtet, die Klage zurückzuweisen und die Partei kann mit den bis jetzt entstandenen  Prozesskosten belastet werden (Art. 47912 § 2 PL-ZPO). 

Um das Verfahren dennoch effektiv zu gestalten, wurden auch folgende Sonderregelungen eingeführt.  Die Möglichkeit der Widerklage wurde ausgeschlossen. Die Aufrechnung ist nur für die schriftlich bestätigte Gläubigerforderungen gestattet (Art. 479 14 § 4 PL-ZPO), die Gegenstand eines Urkundenprozesses sein können. Die Anhörung des Zeugen ist nur dann möglich, wenn entsprechender Beweisantrag gestellt wurde. 

Das Sonderverfahren in Wirtschaftssachen ist dem deutschen Rechtssystem nicht bekannt. Die Rechtsstreitigkeiten mit der Wirtschaftsberührung werden dort nach den gleichen Prozessregeln wie jeder andere zivilrechtlicher Streit bearbeitet. Zu der gleichen Lösung ist nach rund 22 Jahren der polnische Gesetzgeber gekommen. Im Endergebnis ist der geplante Vorteil sdie Beschleunigung des Verfahrens zum Nachteil geworden und mit dem letzten Entwurf der Novelle des PL-ZPO vom Juni 2011 wurde vorgeschlagen, dieses Verfahren aufzuheben. Die Zukunft zeigt, ob und wann die Änderung in Kraft tritt. 

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